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Stichtag: 08. Juni 1951 - Eine Straßenbahn für Wesel

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Die Kleinbahn Wesel-Rees erschloss seit 1914 den westlichen Kreis Rees und band diesen im Personen- wie auch Güterverkehr an die Orte mit Reichsbahnanschluss an. Die Strecke wurde 1921 bis Emmerich erweitert. Die elektrifizierte, vom RWE betriebene Bahn erfreute sich großer Beliebtheit. Sie endete in Wesel an der Reichsstraße 8 (B8) vor der Eisenbahnstrecke nach Venlo und Boxtel. Zur Innenstadt musste man im Gegensatz zu Rees oder Emmerich noch ein gehöriges Stück laufen.

Am Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die Kleinbahn stark in Mitleidenschaft gezogen, der Fuhrpark zerstört und die Gleisanlagen teilweise schwer beschädigt. Der Landkreis Rees bemühte sich nach dem Krieg, die Bahn als Teil des Nahverkehrsnetzes zwischen Rees und Wesel für den Personen- und Güterverkehr zu reaktivieren. Dem Kreistag war durchaus bewusst, dass der Kleinbahnbetrieb kostenintensiver als der Busverkehr war; aber für letzteren benötigte man intakte Straßen. Die aber gab es nicht in ausreichendem Maße. Auf der längeren Strecke zwischen Rees und Emmerich setzte man gegen den Widerstand der Anwohner auf die moderne Variante, den Schienenersatzverkehr per Bus.

Im Frühjahr 1950 trat die Stadt Wesel auf den Plan. Sie bemühte sich – sehr spät – um eine Verlängerung der Kleinbahn bis zum Bahnhof. Eine wie auch immer geartete Busverbindung von der Endstation bis zum Bahnhof kam aus Rentabilitätsgründen nicht in Frage. Die natürlich nur einspurige Trasse in Wesel wurde kontrovers diskutiert. Schließlich legte der Stadtrat in Abstimmung mit dem Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk im Spätherbst 1951 die neue Strecke fest. Sie führte über die heutige Reeser Landstraße zum Amtsgericht. Diese Straßenverbindung gab es damals nicht; die B8 lief noch über die Fluthgrafstraße Richtung Rees. Die neue Trasse, die an dieser Stelle von der Stadt aufgeschüttet werden musste, nahm die spätere Straßenführung vorweg. Am Grafenring führte die Strecke über den Grünstreifen in der Straßenmitte zum Willibrordi-Platz. Von dort ging es links ab, am Dom vorbei über Pastor-Bölitz-Straße, Goldstraße, Brückstraße, Viehtor, Hohe und Wilhelmstraße zum Bahnhofsvorplatz. An einigen Straßen selbst mussten Veränderungen vorgenommen werden. Goldstraße und Viehtor mussten zu Lasten des Bürgersteigs verbreitert werden. Bei der geplanten Erneuerung der Straßendecke auf der Hohen Straße galt es plötzlich die Gleisführung zu berücksichtigen. Es war bis in den Spätherbst hinein nicht sicher, ob Gleisverlegung und Straßenbau zeitlich aufeinander abgestimmt werden konnten. Die Arbeiten in Wesel begannen noch im Dezember 1950. Das Gleismaterial kam von der stillgelegten Strecke Rees–Emmerich. Die Streckenerprobung und die Schulung des Fahrpersonals begannen im Mai. Zu diesem Zeitpunkt legte man auch endgültig die Haltestellen in Wesel fest. Diese befanden sich an der zweigleisigen Endstation am Bahnhof, am Berliner-Tor-Platz (Post), am Mathenakreuz (Rathaus, heute Kaufhof), an der Feldstraße gegenüber dem Großen Markt, am Hansaring und am Breiten Weg. Die Stadt Wesel, die die Straßenbahn unbedingt wollte, bekam diese Verkehrsverbindung nicht kostenlos, sondern musste die Hälfte des Schuldendienstes übernehmen. Sie erhoffte sich mit ihr allerdings, der gerade wieder in die Innenstadt gezogenen Weseler Geschäftswelt neue Kundschaft aus dem Hinterland zu erschließen.

Am 8. Juni 1951 wurde die Kleinbahn vom Kreistag mit einer Drei-Städte-Fahrt feierlich eröffnet. Der Kreistag hielt morgens in Emmerich eine Sitzung ab, bestieg anschließend zur Jungfernfahrt den die Kleinbahn zwischen Emmerich und Rees ersetzenden Omnibus nach Rees. Dort begab man sich ins Rathaus, unterzeichnete in einer Feierstunde den Vertrag mit der RWE-Tochter RWB zum Betrieb der Kleinbahn und des Schienenersatzverkehrs nach Emmerich und übergab die neue Kleinbahn feierlich dem Verkehr. Anschließend bestieg die Festgesellschaft einen festlich geschmückten Kleinbahn-Triebwagen zur Weiterfahrt nach Wesel, um auch diesen 27 Kilometer langen Streckenabschnitt feierlich in Gebrauch zu nehmen. In Bislich gab es einen ungeplanten Halt. Dort versperrten Arbeiter der am Bau beteiligten Firmengemeinschaft Trapp/Termier die Weiterfahrt. Bislicher Schüler sangen ein Ständchen und drei Jungen trugen ein Gedicht in Bislicher Platt vor. Danach ging die Fahrt weiter zum geplanten Zwischenstopp an der Waldschenke, wo man Kaffe und Kuchen zu sich nahm. In Wesel angekommen, trafen sich die Kreistagsmitglieder mit Vertretern der Stadt im Stadtkasino. Dort klang der lange Einweihungstag fröhlich aus.

 

(Autor: Dr. Martin Wilhelm Roelen)