Inhalt

Aus der Geschichte des Stadtarchivs

Ein kurzer Überblick

Die Bestände des Weseler Stadtarchivs gehören zu den bedeutendsten im gesamten Rheinland; die schriftliche Überlieferung setzt mit der Stadterhebung 1241 ein. Zur Mitte des 15. Jahrhunderts begann eine konzentrierte Lagerung städtischer Urkunden und Akten im Rathaus und mit dem Beginn des 17. Jahrhunderts kam es auch zu ersten Erfassungen bzw. zur Systematisierung der Registratur. Das 19. und vor allem das 20. Jahrhundert stellte nicht nur durch den Zweiten Weltkrieg das Archiv und vor allem das Archivgut vor manche Herausforderung, sodass zentrale Bestände verloren gingen, beschädigt wurden sowie lange Jahre nur unzureichend bzw. verstreut gelagert waren und so kaum für die Forschung genutzt werden konnten.

Heute ist das Stadtarchiv Wesel ein moderner kommunaler Dienstleister, der Schrift-, Bild- und Tondokumente sowie archivwürdige elektronische Ressourcen dauerhaft verwahrt, erhält, erschließt und nutzbar macht. Seit 2002 stehen dafür auf dem historischen Zitadellengelände ein zentrales Büro- und Magazingebäude mit modernem Lesesaal sowie eine Restaurierungswerkstatt (seit 1993) zur Verfügung. Das Stadtarchiv ist außerdem federführend an der Erforschung der Geschichte der Hansestadt Wesel beteiligt und initiiert kontinuierlich Projekte.

Ein ausführlicher Blick zurück

Wesel war einst die größte und bedeutendste Stadt des Herzogtums Kleve. Dementsprechend reicht die schriftliche Überlieferung auch bis in das Jahr der Stadterhebung 1241 zurück. Aus den ersten acht Jahrzehnten der Stadtgeschichte sind nur Urkunden überliefert; die älteste Handschrift stammt aus dem Jahr 1322. Die älteste noch heute vorhandene Stadtrechnung datiert auf das Jahr 1349, da die noch älteren Jahrgänge 1342–1348 als Kriegsfolge 1945 verloren gegangen sind. Die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Bestände bestehen vor allem aus Amtsbüchern, Stadtrechnungen, Ratsprotokollen, Briefbüchern, Stiftungsrechnungen sowie aus Sammlungen von Privilegien und Verordnungen. Akten gibt es – von wenigen Ausnahmen abgesehen – erst seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts.

Untergebracht war das Archivgut spätestens seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts im spätgotischen Rathaus (1456–1945). Der zweite Anbau, für den die Stadt 1590 ein am Fischmarkt gelegenes und mit seiner Westseite an das Rathaus angrenzendes Haus ankaufte, diente ebenso der Unterbringung des Archivs. Auf diesen Gebäudeteil bezieht sich auch das erste Repertorium des Weseler Archivs, das 1644 das archivierte Schriftgut erfasste. Demnach verteilte sich das Archiv über zwei Etagen und reichte möglicherweise – längs durch die beiden Anbauten – vom Großen Markt bis zum Fischmarkt. Wo das Archivgut vorher untergebracht war, ist nicht mit Sicherheit festzustellen. Eine Archivierung im ersten Rathausbau (1386–1456) ist wahrscheinlich. Vorher und möglicherweise schon im 14. Jahrhundert lagerte das städtische Schrifttum im Dominikanerkloster.

Erstmals verzeichnet wurde das Archivgut in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Bürgermeister Dr. Anthon ter Smitten, der Schöffe Dr. Dietrich von der Brüggen und der Stadtsekretär Dr. Johann von Raesfeld haben in mühevoller und jahrelanger Arbeit die Registratur in Ordnung gebracht und die Ergebnisse am 10. Oktober 1644 dem Rat vorgestellt. Erfasst wurden darin alle im Archiv deponierten Akten; für die wichtigsten Urkunden ist erst etwa vierzig Jahre später ein erstes Verzeichnis angelegt worden. Neben den städtischen Amtsbüchern und Akten verzeichneten die drei Amtsträger auch die Unterlagen der von der Stadt verwalteten bzw. beaufsichtigten Kirchen-, Schul- und Armenstiftungen sowie das Schriftgut der ebenfalls im Rathaus residierenden Gerichte. Das Findbuch war so angelegt, dass genügend Platz für eine Fortschreibung vorhanden war. Nachgetragen wurden allerdings nur die drei folgenden Jahre, obwohl die Verträge mit den Stadtsekretären ausdrücklich zur ordentlichen Archivierung verpflichteten.

In den 1680er Jahren ist der Bestand noch einmal in einen ordentlichen Zustand versetzt worden, wofür der damit beauftragte Gehilfe des Stadtsekretärs nach eigenen Angaben zwei Jahre benötigte. Wie das Archiv danach geführt wurde, lassen gut ein halbes Jahrhundert später Klagen über die Unordnung im Archiv erahnen. Die besonders während der Zeit des Stadtsekretärs Dr. Jodocus Becker (1709–1753) augenfälligen Missstände mussten seine Nachfolger bereinigen. Wilhelm Daniel Cramer (1753–1759) erhielt gleich zu Beginn seiner Tätigkeit von der Kammer in Kleve die Anweisung, zumindest die laufende Registratur innerhalb von drei Monaten in einen akzeptablen Zustand zu versetzen und ein entsprechendes Repertorium anzufertigen. Cramer kam der Anordnung nach, wenn auch nicht in der gewünschten Zeit. Das Archiv selbst befand sich jedoch weiterhin in derartiger Unordnung, dass seit 1774 die Sekretäre Friedrich Wilhelm Gantesweiler (1760–1783) und Conrad Duden (1783–1792) anfingen, das Archiv erneut zu ordnen und die Loseblattsammlungen zu heften oder zu binden. Die eigens dazu ausgelobten einhundert Reichstaler wurden 1793 an Conrad Duden, der mittlerweile zum Bürgermeister in Wesel aufgestiegen war, ausgezahlt. Das neue, 1791 fertiggestellte zweiteilige Repertorium der Magistratsregistratur umfasst alle Bestände des historischen Archivs. Der erste Teil enthält die Aktenbestände (A1), der zweite Teil Ratsprotokolle, Edikte, diverse Rechnungen, Wochenbücher, Belege und Konzepte, Gerichtsprotokolle sowie die Intelligenzblätter. Ein weiteres, 1792 von Duden vorgelegtes Repertorium erfasst in drei Teilen die Kirchen-, Schul- und Stiftungsregistratur, also die heutigen Bestände A2, A11, A12 sowie die Reste der Stiftungsurkunden (U2.1, U2.3 bis U2.5).

Die im Rathaus befindlichen Gerichtsunterlagen mussten 1808 teilweise an das Staatsarchiv in Düsseldorf abgegeben werden. Das nicht dahin verbrachte Archivgut, vor allem Schöffenprotokolle und ähnliche Aufzeichnungen, wurden zusammen mit zahlreichen älteren Rechnungen, Konzepten und Belegen aus der Magistratsregistratur auf Befehl des Bürgermeisters und vormaligen Stadtsekretärs Matthias Daniel Christian Adolphi gewinnbringend als Altpapier verkauft.

Ein weiterer Verlust an Urkunden und Akten resultierte aus der im Jahre 1853 erfolgten Abgabe an das Evangelische Kirchenarchiv Wesel. Diese Gemeinde erhielt zahlreiche Archivalien – darunter die Rechnungen der beiden Stadtkirchen Willibrord (1401–1794) und Mathena (1434–1807) –, mittelalterliche Kopiare und Einkünfte-Verzeichnisse sowie einige wenige Stiftungsbriefe. Das Gros der damals noch unverzeichneten und nur summarisch diversen Capseln zugeordneten Urkunden – nach späterer Zählung 143 Urkundennummern – verblieb allerdings bei der Stadt.

1877 gab die Stadt Wesel ihr Archiv nach langwierigen internen Diskussionen als Depositum an das Hauptstaatsarchiv in Düsseldorf ab. Dort bot ein neues und feuersicheres Gebäude die Möglichkeit, Kommunal- und Gemeindearchive sicher unterzubringen. Während der Unterbringung in Düsseldorf wurde das Depositum Wesel wissenschaftlich genutzt. Zudem verzeichnete man um die Jahrhundertwende auch den kompletten Urkundenbestand und löste dabei den zweiten Teil der Stiftungsregistratur (Dokumente und Briefschaften) zugunsten gesonderter Urkundenbestände aller Stiftungen auf. Danach umfassten die städtischen Urkunden mehr als 540 Nummern bzw. Vorgänge und die der Stiftungen mehr als 1285 Vorgänge.

Etwa sechzig Jahre später – in den späten 1930er Jahren – bemühte man sich in Wesel aber schon um die Rückführung des Archivs. Treibende Kraft war der Gymnasiallehrer, Museumsleiter und spätere Stadtarchivar Adolf Langhans. Nach zähen Verhandlungen mit dem Staatsarchiv und dem zuständigen Ministerium kehrten die Archivalien 1943 nach Wesel zurück. Untergebracht wurden diese Bestände im unteren Stockwerk des Herzogsschlosses. Dort befand sich das von Langhans geleitete Niederrheinische Museum für Orts- und Heimatkunde. Im weiteren Verlauf des Zweiten Weltkrieges mussten die Urkunden, die ältesten Handschriften, Amtsbücher und Akten sowie die Findbücher auf Verlangen der Provinz ausgelagert werden. In 16 Kisten verpackt wurden sie zusammen mit anderem Archivgut aus dem Kreis Rees Ende 1944 in ein Salzbergwerk bei Volpriehausen im Kreis Northeim transportiert. Dort öffneten und plünderten Zwangsarbeiter die Kisten, ehe im Juni 1945 eine Explosion ihren Inhalt zum größten Teil vernichtete. Gerettet wurden bei der Bergung 1946 lediglich einige durch Ruß, Staub und Tränengas verunreinigte und beschädigte Handschriften sowie ebenfalls verschmutzte und durch Hitze beschädigte 283 städtische und rund 150 Stiftungsurkunden.

Das noch in Wesel verbliebene Archivgut lagerte die Stadt Ende 1944, entgegen den Wünschen des Staatsarchivs, in eine Kasematte des Haupttorgebäudes auf dem Zitadellengelände aus. Diese Bestände und die der Weseler Kirchengemeinden blieben bis zum Kriegsende in Wesel. Die Bombardierungen und den Beschuss überstanden diese Archivalien leidlich. Erst nach dem Einmarsch der Alliierten kam es zu Verlusten und Beschädigungen durch Plünderungen. Gesichert wurden die Akten dann bald im Keller der Schule an der Blücherstraße. Von dort verbrachte die Landesarchivverwaltung im August und September 1945 mit Fahrzeugen der britischen Besatzungsmacht diesen Bestand nach Schloss Kalkum, wo er bis 1946 unter der Obhut des Staatsarchivs blieb und dann in das Zentraldepot der Archivverwaltung nach Schloss Gymnich bei Kerpen umgesiedelt wurde. Dort wurden auch andere rheinische Archive, die nicht in ihren Heimatstädten bleiben konnten, sichergestellt. Gymnich war allerdings nur eine angemietete Behelfsunterkunft, sodass sich die Stadt Wesel ab 1951 intensiv um die neuerliche Rückführung bemühte, die der Archivar Langhans schon 1950 angeregt hatte. Langhans schlug als erstes Provisorium das Gästezimmer im Kasino am Kaiserring vor.

Die Stadt Wesel erklärte sich bereit, im gerade im Bau befindlichen Rathaus zwei Keller mit einer Größe von gut 75 Quadratmetern für das Archiv bereitzustellen. Die Räume konnten dann auch am 16. Juni 1952 bezogen werden. Es war ein insgesamt glücklicher Umstand, in den schweren Zeiten nach dem Krieg, in einer gerade erst in den Anfängen des Wiederaufbaus stehenden Stadt, überhaupt eine Unterkunft zu finden. Das Rathaus war zum Zeitpunkt des Einzugs nur teilweise fertiggestellt, denn der zweite Bauabschnitt wurde erst nach dem Einzug in Angriff genommen und im Dezember 1954 fertiggestellt. Die Urkunden brachte man zwei Jahre später – nach der Erstellung von Regesten durch die Archivberatungsstelle – zusammen mit einem neuen Findbuch zurück. Archivleiter wurde damals – nach dem Tod des ehrenamtlichen Stadtarchivars Adolf Langhans im Oktober 1953 – der Bibliothekar Dr. Gerhard Metzmacher (1954–1963). Zu den vordringlichsten Aufgaben der beiden folgenden Jahrzehnte gehörten zum einen die Bestandsaufnahme samt Erstellung neuer Findmittel und zum anderen die Verbesserung der Unterbringung. So wurden zwischen 1955 und 1959 die Akten, Rechnungen und Protokolle der Magistrats- und der Stiftungsregistratur durch die Archivberatungsstelle Rheinland auf Basis der beiden Duden-Repertorien von 1791/1792 vollständig erfasst.

Den provisorischen Charakter der Unterbringung des Archivs brachte Stadtdirektor Dr. Karl Heinz Reuber anlässlich der Feierstunde zur Eröffnung des Stadtarchivs am 18. Oktober 1952 zum Ausdruck. Er versprach, sich dafür einzusetzen, dass in einem noch zu errichtenden Kulturhaus ein würdiges und endgültiges Heim für das Archiv geschaffen werde. Reuber hat dieses Versprechen bis zum Ende seiner Amtszeit 1970 jedoch nicht umsetzen können.

Das Archivgut litt im Rathauskeller nicht nur wegen der schlechten klimatischen Bedingungen, sondern auch infolge eines erheblichen Wasserschadens während der Umsetzung des zweiten Bauabschnitts des neuen Rathauses, als Wasser von der Baustelle in den Keller lief. Ebenso entstanden hier Fraßschäden an verschiedenen Archivalien – beispielsweise an einigen spätmittelalterlichen Stadtrechnungen –, weil Mäuse durch nicht ordnungsgemäß verschmierte Löcher in der Decke ins Magazin eindringen konnten.

Die Zustände verbesserten sich auch nicht, als das Archiv 1971 nach dem Verkauf des Rathausgeländes an die Warenhauskette Kaufhof für mehr als drei Jahre provisorisch im Keller der Schule an der Rheinbabenstraße umziehen musste. Dem neuen Stadtarchivar Heinz Kirchmann stand zwar wesentlich mehr Platz zur Verfügung, aber die Gesamtsituation blieb schlecht, da auch die neuen Räume schlechte klimatische Bedingungen boten. Zudem verliefen Wasserrohre an der Decke der Archivräume, an denen Wasser kondensierte und abtropfte. Immerhin hatte man nun die Möglichkeit, bei der Planung des neuen Rathauses auf die dringendsten Bedürfnisse moderner Archive eindringlich hinzuweisen, also vor allem auf ausreichenden Platz, auf geeignete klimatische Bedingungen – letztlich also eine Klimatisierung der Magazine – und auf platzsparende Regalschiebeanlagen. Auch eine Grundwasserabsicherung und eine bauliche Unterbindung von Wasser- und Abwasserleitungen an den Magazindecken sollten selbstverständlich sein.

1969 begann die von der Archivberatungsstelle Rheinland durchgeführte Sicherheitsverfilmung. Die Hauptbestände des Archivs (Bestandsgruppen A, B, Teile von C, F, G und J sowie einige Zeitungen) wurden überwiegend in den 1970er Jahren verfilmt. Während der Amtszeit des Stadtarchivars Kirchmann (1966–1881) verzeichnete das Archiv beträchtliche Zuwächse. So wurden im Zuge der kommunalen Neugliederung zwischen 1969 und 1975 nicht nur die Bestände der Gemeinden Obrighoven-Lackhausen, Flüren, Büderich, Bislich, Diersfordt und Blumenkamp übernommen, sondern auch die immer noch stattlichen Reste der Bibliothek des ältesten Weseler Gymnasiums mitsamt den erhalten gebliebenen Teilen der berühmten Heresbach-Bibliothek.

Die Magazinkeller, die im neuen Rathaus ab August 1974 bezogen wurden, waren mit 360 Quadratmetern zwar sehr geräumig, jedoch klimatisch – mit achtzigprozentiger Luftfeuchte und einer Raumtemperatur von 25 Grad – nach wie vor nicht akzeptabel. Zudem liefen trotz aller Proteste weiterhin längs durch den Raum zahlreiche Wasserleitungen und auch die Löschwasserdruckleitung. Es bildete sich nicht nur Kondenswasser, sondern mit der Zeit leckten die Leitungen so stark, dass man zum Auffangen des Wassers zwischen den beiden großen Regalschiebeanlagen eine Dachrinne installieren musste. Auch die Büros des Archivs befanden sich im ersten Untergeschoss. Die Benutzer arbeiteten beengt an einem wuchtigen Eichentisch mit schweren Stühlen aus dem Trauzimmer der ehemaligen Gemeinde Büderich.

Mit Dr. Jutta Prieur-Pohl übernahm 1982 erstmals eine ausgebildete Archivarin die Leitung des Stadtarchivs. Neben der Verbesserung der Unterbringung, der Systematisierung, Aufnahme und Verzeichnung aller Bestände sowie einer verstärkten Öffentlichkeitsarbeit gehörte die Restaurierung der durch Feuchtigkeit und Schimmel angegriffenen Bestände sowie der ebenso geschädigten Gymnasialbibliothek zu den vordringlichsten archivalischen Aufgaben.

Diese Arbeiten können seit 1993 in einer eigenen großen Werkstatt durchgeführt werden, die in den Räumen der ehemaligen Kaserne VIII auf der Zitadelle untergebracht ist. Durch die konsequente räumliche Trennung der Arbeitsbereiche für schimmelpilzkontaminiertes Papier in Büchern und Akten und den übrigen Werkstattplätzen, durch Klimaschleusen, die Unterdruckkammer und modernste Technik gilt die Werkstatt als Vorzeigeprojekt. Als Restaurierungszentrum für den gesamten unteren Niederrhein können hier Archive, Bibliotheken, Antiquariate, Museen und Galerien ihre Urkunden, Drucke, Bücher, Landkarten und Aktenbände ebenso restaurieren lassen wie Firmen und Privatleute. In den Magazinen der Werkstatt konnten außerdem die Planschränke mit den umfangreichen Karten-, Stiche-, Plakat- und Plansammlungen sichergestellt werden.

Unter der Regie von Frau Dr. Prieur-Pohl entstanden 1982 ein neuer Zeitungskeller, der allerdings nur für wenige Jahre Platz bot, und 1984 einen neuen Benutzerraum, in dem auch die gesamte Präsenzbibliothek und einige Mitarbeiter untergebracht waren. Die klimatischen Bedingungen im Hauptmagazin wurden durch den Einbau einer Luftwechselanlage verbessert, die jedoch die vorgegebenen Klimawerte auch nicht erreichte. Der drohenden Gefahr einer Überflutung der Anlagen durch defekte Wasserleitungen begegnete man vorbeugend mit bei der Feuerwehr aufgeschalteten Wassermeldern. Diese verhinderten keine Schäden, sondern gaben allenfalls rechtzeitig Alarm. Zwischen 1991 und 2000 gab es 21 Wassereinbrüche teilweise schwerer Natur mit bis zu fünf Zentimetern Wasserstand. Größere Schäden an Archivalien, historischen Bibliotheksbeständen sowie eine Schädigung der Regalschiebeanlagen, die im Wasser standen und deren Schienen zu rosten begannen und sich daraufhin langsam verzogen, waren die Folge. Daher wurden schon 1991 die wertvollsten Archivalien –13.000 Akten und 540 Amtsbücher – ins Kreisarchiv Wesel evakuiert. Die Archivalien blieben zwei Jahre dort, bevor sie in einen neuen, klimatisch befriedigenden Magazinraum mit einer Kapazität von einem Regalkilometer eingelagert werden konnten. Die Archivverwaltung zog im Januar 1992 ins Haus Eich gegenüber dem Rathaus, der Benutzerraum zog in ein ehemaliges Büro, hatte nun Tageslicht, bot allerdings nur noch vier Personen einen Arbeitsplatz.

Die noch vor dem Ersten Weltkrieg begründete historische Reihe „Studien und Quellen zur Geschichte von Wesel“ wurde 1983 wiederbelebt; in ihr erscheint seitdem jährlich mindestens ein Band zur Geschichte des heutigen Stadtgebiets von Wesel. Die Findmittel des Stadtarchivs werden bei Bedarf in der 1984 eingeführten Reihe Repertorien der Stadt Wesel publiziert. Zudem werden in unregelmäßigen Abständen in Zusammenarbeit mit dem Städtischen Museum Ausstellungen zu nicht nur stadtgeschichtlich bedeutenden Themen ausgerichtet, wozu begleitend stets umfangreiche Kataloge erarbeitet und publiziert wurden.

Der Höhepunkt der Zersplitterung des Archivs war 1997 erreicht, als nach erneuten Wassereinbrüchen die Auslagerung des Altbestandes in den ersten Stock des Haupttorgebäudes auf der Zitadelle und in einen Keller des 1994 eingeweihten Rathausanbaues erfolgt war. Im Rathauskeller konnten die Akten außerdem nur eingelagert, aber nicht benutzt werden. Sie standen auf Paletten oder waren in vier Reihen hintereinander in Stellagen eingeräumt. Zum Schutz wurden die Akten mit Noppenfolie verpackt und so auch vor fremdem Zugriff geschützt.

Seit dem Ende der 1980er Jahre ist das Stadtarchiv Wesel zusammen mit dem heutigen LVR-Niederrheinmuseum, dem Stadtmuseum und der Jugendmusik- und Kunstschule integraler Bestandteil des Projekts „Kulturzentrum Zitadelle“. 1996 wurde im Zuge dieses Projekts der Weseler Stadtrat nach einer Archivbesichtigung aktiv. Man war übereinstimmend der Meinung, dass unverzüglich neue Räumlichkeiten für das Archiv gefunden werden müssten. Eine „Arbeitsgruppe Archiv“ wurde beauftragt, alle in Betracht kommenden Gebäude zu untersuchen. Schon vier Monate später kam man zu dem Ergebnis, dass nur das Karolinenheim und im Zitadellenbereich das Haupttorgebäude sowie die ehemalige Baeckerey als Archivstandort in Frage kämen. Am besten geeignet erschien die Baeckerey, sodass die Stadtvertreter im Mai 1998 den Beschluss fassten, dieses Gebäude zum neuen Stadtarchiv auszubauen.

Die bauliche Umgestaltung und Entkernung der Baeckerey begann kurz danach. Das aus fünf Tonnengewölben bestehende Gebäude wurde im Inneren komplett ausgeräumt, erhielt einen neuen Boden und eine neue Decke, die den Anforderungen der Regalschiebeanlagen entsprachen. Die denkmalgeschützte Bausubstanz blieb dabei unberührt. Die Magazinräume und der Aktenzugangsraum im Erdgeschoß sind klimatisiert. In ihnen sind alle Wasser- und Abwasserleitungen, soweit das möglich war, in einem Bodenkanal verlegt, der sich längs durch das Gebäude zieht. Die beiden Stockwerke sind nicht nur durch eine denkmalgeschützte, knapp zweihundert Jahre alte Treppe, sondern zusätzlich durch einen Aufzug verbunden.

1999 sollte der eigentliche Umbau zum Archiv beginnen, aber einige Widrigkeiten verhinderten dies, sodass die Arbeiten erst ab Januar 2000 losgingen und schon Ende September 2000 abgeschlossen waren. Der geplante Umzug zum Jahreswechsel 2000/2001 kam allerdings nicht zustande, weil plötzlich massive Schimmelprobleme auftraten. Infolge einer defekten Dachentwässerung hatte das Mauerwerk, das zwischen achtzig und 360 Zentimeter stark ist, viel Wasser aufgenommen. Das Schimmelproblem konnte durch die Mithilfe der Archivberatungsstelle und einer Spezialfirma gelöst werden, sodass im Mai 2001 das obere Stockwerk bezugsfertig war. Damit saßen zumindest alle Mitarbeiter wieder in einem Gebäude. Auch die Benutzer konnten das historische Archiv wieder ohne Vorbestellung benutzen.

Die Magazinräume im Erdgeschoß konnten wegen einer feuchten Wand in einem Magazinraum erst 2002 bezogen werden. Nach dem Aufbau der Schiebeanlagen, ging es dann um die Ein- und Umlagerung von gut zweitausend Laufmetern an Akten, Urkunden und sonstigem Archivgut. In drei Umzügen wurden das Haupttorgebäude, das alte Hauptmagazin im Rathaus, der Zeitungskeller und ein Teil des zweiten Rathausmagazins geräumt. Im Obergeschoß des Stadtarchivs befinden sich die Büroräume, zwei kleine Bibliotheksanlagen sowie ein großer Benutzerraum, der die Enge der ehemaligen Benutzerräume schnell vergessen ließ. Die zur Verfügung stehende Gesamtfläche beträgt 775 Quadratmeter, die beiden Magazine im Erdgeschoss sind insgesamt 316 Quadratmeter groß. Die dort installierten Regalschiebeanlagen fassen zusammen gut 3500 Laufmeter. Dazu stehen im Rathauskeller noch eintausend weitere Regelmeter zur Verfügung.

Damit war ein über sechs Jahrzehnte dauerndes Provisorium beendet und das Stadtarchiv endgültig Teil des Kulturzentrums Zitadelle. Seit Ende 1998 fungiert Dr. Martin Roelen als Leiter des Stadtarchivs, das seit seinem Bestehen stets anderen Ämtern – zumeist dem Hauptamt – zugeordnet war und erst am 1. Dezember 1994 als selbständiges Amt aus dem Haupt- und Personalamt ausgegliedert wurde. Seit dem 1. April 2000 war das Stadtarchiv dem Kulturamt zugeordnet und gehört nun – seit der Umsetzung der Verwaltungsreform im Dezember 2001 –als Team Archiv zum Fachbereich 4 (Stadtkultur).

 

Martin Wilhelm Roelen / Heiko Suhr

Kontakt