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Stichtag: 6. August 1988 - Übergabe der Bronzefiguren "Langer Heinrich" und "Bienenkönig"

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Fragt man die Weseler Einwohnerinnen und Einwohner nach berühmten Söhnen und Töchtern ihrer Stadt, bekommt man nach den über die Stadtgrenzen hinaus bekannten Konrad Heresbach, Andreas Vesalius, Peter Minuit oder Ida Noddack-Tacke meist auch die Namen von Weseler Originalen zu hören. Deren Bekanntheitsgrad nimmt zwar an den Stadtgrenzen schlagartig ab, dennoch sind sie als „Local Heroes“ für die Identitätsstiftung der Stadt wichtig. Dazu gehören neben der Straßenkehrerin Lisken Adam, der Wirtin Johanna ten Hompel und der Sängerin Agnes Kayser vor allem zwei recht schrullige Männer.

Der „Lange Heinrich“ war der Weseler Hein Wedemann, ein ebenso großer wie gutmütiger Zeitgenosse, der sich regelmäßig auf dem Kornmarkt ein kleines Zubrot verdiente. Er half Bauern beim Ausspannen der Pferde und brachte diese in nahegelegene Ställe, um sie dort auch zu füttern. Wedemann wird als hager beschrieben, mit großen Holzschuhen („Schifferkähne“), stets ein wenig steif und vor allem ganz überwiegend schweigend. Markant soll vor allem seine Körpergröße von angeblich fast zwei Metern gewesen sein. Ein zeitgenössisches und Wedemann zugeschriebenes Foto zeigt allerdings einen deutlich kleineren Mann. Auffallend war in jedem Fall seine zerschlissene Kleidung, vor allem der nur notdürftig von einem Stück Schnur zusammengehaltene Mantel.

Mit Sicherheit feststellen lässt sich immerhin, dass Heinrich Wedemann 1848 in Wesel zur Welt kam und dort auch als Gelegenheitsarbeiter im 61. Lebensjahr am 16. August 1909 verstorben ist. Seine Eltern, die 1845 in Wesel katholisch geheiratet hatten, waren der aus dem Sauerland kommende Tagelöhner Philipp Anton Wedemann und die aus Wesel stammende Elisabeth Thören. Noch kurz vor seinem Tod gestatte Wedemann dem taubstummen Weseler Künstler Paul Hoevel, ihn zu malen und zu modellieren. Neben unzähligen Holzschnitzereien, die viele Weseler Wohnzimmer geschmückt haben dürften, sind Postkartenmotive und ein Aquarell bekannt, das u.a. ein von Heinrich Peitsch verfasstes Buch über Weseler Originale als Titelbild schmückt.

Ebenso auf dem Kornmarkt anzutreffend – weniger als Konkurrent, eher als kongenialer Partner – war der „Bienenkönig“, dessen Name sich im Volksmund anders als beim „Langen Heinrich“ nicht überliefert hat. Körperlich eher das Gegenteil – also klein, gedrungen und von kräftiger Statur – kam der „Bienenkönig“ aus ebenso ärmlichen Verhältnissen und verdiente sich auf dem Kornmarkt auch ein paar Groschen dazu. Sein Spitzname war eine euphemistische Verklärung des intensiven Körpergeruchs des Weseler Originals, den ganze Schwärme an Insekten – wohl eher Fliegen als Bienen – zur Arbeit begleitet haben sollen.

Die Nächte verbrachten beide Originale meist zusammen in einer Scheune in der Stadt. Dort fand Wedemann eines Tages auch seinen verstorbenen Schicksalsgenossen, legte sich trotzdem zum Schlaf nieder und meldete den Tod erst am nächsten Morgen. Dem verdutzten Polizisten antworte der treuherzige Heinrich, er sei erst heute gekommen, da er seinen Freund nicht habe allein lassen wollen („Loot öm de äschde Nach ma niet so alleen“).

Die Idee zu einem Denkmal für die beiden Weseler Originale hatte der 1959 verstorbene Heimatschriftsteller Heinrich Simon schon in der Nachkriegszeit. Er befand, dass der „Lange Heinrich“ bald als Standbild einen Brunnen am Kornmarkt schmücken solle. Er wollte den schlaksigen Wedemann auch als Sinnbild für die Zeit der großen Not während und unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg verstanden wissen.

Es sollten noch mehr als drei Jahrzehnte vergehen, bis dieser Plan in die Tat umgesetzt wurde. Unumstritten war das Denkmal nicht. Man setze Herumtreibern und Arbeitslosen ein Denkmal, hieß es in der Lokalpresse. Es sei besser, den Helden des Wiederaufbaus – wie Stadtdirektor Reuber – ein Ehrenmal zu errichten. Letztlich entschied sich die Stadt Wesel dann doch dafür, den bekanntesten Weseler Originalen ein Denkmal zu setzen und damit ihre Beliebtheit, ihre Heimatverbundenheit und ihre Bodenständigkeit zu würdigen.

Am 6. August 1988 wurde das Ensemble aus Brunnen und den beiden Bronzefiguren durch den damaligen stellvertretenden Bürgermeister Wilhelm Schneider der Öffentlichkeit übergeben. Bereits kurz nach der Enthüllung wurden die bronzenen Holzschuhe Wedemanns gestohlen und erst 2012 – durch eine anonyme, aber zweckgebundene Spende an die Stadt Wesel – ersetzt.

Die Bronzefiguren geschaffen hat der in Wesel bekannte und aus Dortmund stammende Künstler Kuno Lange, der seine Ausbildung als Bildhauer u.a. an der Essener Folkwangschule und der Rijksakademie Amsterdam erhielt. Zwischen 1979 bis 1999 lebte und wirkte er als Bildhauer und Maler in Wesel und Hamminkeln. Seitdem ist er als Künstler in Mülheim-Heißen tätig und führt u.a. viele Aufträge für Kunst im Öffentlichen Raum aus. Lange ist seit Herbst 2018 ebenso als Gastdozent an der Musik- und Kunstschule Wesel aktiv. 2020 waren seine Werke im Rahmen einer Einzelausstellung im Städtischen Museum Wesel zu sehen. Neben den beiden Weseler Originalen schuf Lange ebenso Bronzeplastiken für Hermann Ludwig Blankenburg (1996, Blankenburgstraße) und Konrad Heresbach (1997, Großer Markt).

Auch Kuno Langes Denkmal am stark frequentierten Kornmarkt dürfte dazu beitragen, dass zwei der bekanntesten Weseler Originale auch künftig nicht in Vergessenheit geraten.

 

(Autor: Dr. Heiko Suhr)